Kennst du alle vier Seiten einer Nachricht oder hörst Du immer nur eine?
Zu den größten Errungenschaften der Menschheit gehört mit Sicherheit ihre ausgeprägte Fähigkeit zur Kommunikation. Gleichzeitig bietet sie jedoch auch jede Menge Gefahren und ist oftmals die Ursache von Missverständnissen und Konflikten. Denn nicht immer kommt das, was wir ausdrücken wollen auch tatsächlich so beim Empfänger an. Das ist besonders für Dich als Führungskraft sehr wichtig. Zum einen, um die Anliegen und Bedürfnisse Deiner Team-Mitglieder genau zu erkennen und zu verstehen und zum anderen, um genau auszudrücken, was Du von ihnen möchtest. Eine gute Möglichkeit dafür bietet Dir das sogenannte 4-Ohren-Modell.
Was ist das 4-Ohren-Modell?
Das 4-Ohren-Modell, in der Praxis auch oftmals als 4-Seiten-Modell oder Kommunikationsquadrat bezeichnet, stammt vom deutschen Kommunikationspsychologen Friedemann Schulz von Thun und ist mittlerweile weit über die Landesgrenzen hinweg bekannt.
Schulz von Thun hat Anfang der 1980er-Jahre herausgefunden, dass jede Äußerung grundsätzlich vier Botschaften gleichzeitig enthält:
- Eine Sachinformation: Worüber informiere ich?
- Eine Selbstoffenbarung: Was gebe ich von mir zu erkennen?
- Einen Beziehungshinweis: Was halte ich von jemand anderen?
- Einen Appell: Was möchte ich erreichen?
Ein kurzes Beispiel sagt mehr als 1.000 Worte
Was es mit dem 4-Ohren-Modell genau auf sich hat, lässt sich am besten anhand eines einfachen Beispiels demonstrieren, das sehr viele von uns in dieser Form bereits selbst erlebt oder zumindest beobachtet haben. Das gewählte Beispiel stammt aus Friedemann Schulz von Thuns berühmtem Buch „Miteinander Reden“.
Eine Frau sitzt am Steuer eines Autos. Auf dem Beifahrersitz befindet sich ihr Ehemann. Sie stehen an einer geregelten Kreuzung und warten vor einer roten Ampel. Als die Ampel grün wird, sagt der Ehemann zu ihr: „Es ist grün“.
Grundsätzlich gibt es laut Schulz von Thun nun vier Möglichkeiten, was der Ehemann als Sender seiner Frau mit dieser Botschaft vermitteln möchte.
Es könnte sich dabei tatsächlich um eine einfache Sachinformation mit dem Inhalt „Die Ampel ist grün“ handeln. Ebenso könnte dahinter aber auch eine Selbstoffenbarung stecken, dass er es beispielsweise bereits sehr eilig hat. Vielleicht ist es aber auch nur ein Beziehungshinweis, der der Frau mitteilen soll, wer von den beiden der bessere Fahrer ist. Und letztendlich könnte es sich dabei auch um einen Appell mit der einfachen Botschaft „Fahr endlich los!“ handeln.
Die Ehefrau als Empfängerin der Botschaft kann diese ebenfalls auf vier unterschiedlichen Ebenen interpretieren.
Auf der Sachebene könnte sie wahrnehmen, dass ihr Mann ihr einfach mitteilen wollte, dass die Ampel grün ist. Ebenso könnte die Frau jedoch eine Selbstoffenbarung empfinden und denken, dass sie für ihren Mann einfach zu langsam fährt. Auf der Beziehungsebene besteht die Möglichkeit, dass sie wahrnimmt, dass ihr Mann sie schlicht und einfach für eine schlechte Autofahrerin hält. Eventuell vermutet sie dahinter aber auch den Appell, dass ihr Mann das nächste Mal lieber wieder selbst fahren möchte.
Das Dilemma: Es besteht eine große Wahrscheinlichkeit für Missverständnisse
Insgesamt gibt es beim 4-Seiten-Modell also nicht nur vier unterschiedliche Optionen, wie die Botschaft des Senders tatsächlich gemeint war, sondern ebenso viele Varianten, wie sie in weiterer Folge vom Empfänger aufgefasst werden kann.
Die Chance, die Botschaft richtig zu empfangen, liegt also bei 1:4. Ergo dessen könnten rein mathematisch betrachtet 75 Prozent der Botschaften falsch bei ihren Empfängern ankommen.
Diese Wahrscheinlichkeit lässt sich jedoch deutlich verringern, in dem Du ein wenig auf Deine eigene Wahrnehmung beim Versand und Empfang von Botschaften achtest.
Denn grundsätzlich hat jeder Mensch ein bevorzugtes Ohr. Das könnte bedeuten, dass Du beispielsweise Botschaften anderer Menschen in den meisten Fällen als Appell wahrnimmst. Beispiel: Wenn jemand zu Dir im Office sagt, dass es kühl ist, schließt Du automatisch das Fenster oder drehst die Klimaanlage zurück.
Bei Führungskräften besteht eine starke Tendenz, Botschaften der Team-Mitglieder als Appell wahrzunehmen. Häufig ist das auch tatsächlich der Fall, doch hinter der Botschaft, dass die Preise im Supermarkt schon wieder teurer geworden sind, muss nicht immer zwingend die Bitte um eine Gehaltserhöhung verborgen sein. Es kann sich dabei einfach um eine einfache Sachinformation oder Selbstoffenbarung im Zuge eines lockeren Small Talks handeln.
Wie lässt sich die Kommunikation mit dem 4-Seiten-Modell trainieren?
Das Kommunikationsquadrat kann Dir eine große Hilfe bieten, um Missverständnisse bei der Kommunikation als Führungskraft zu vermeiden.
Die Tatsache, dass wir alle ein bevorzugtes Ohr haben, bringt dabei auch Vorteile mit sich. Denn das kann unter anderem dazu beitragen, die Kommunikation zu vereinfachen und Missverständnisse zu vermeiden. Wenn Du weißt, dass Dein Gesprächspartner eine bestimmte Wahrnehmungsweise bevorzugt, kannst Du Deine Botschaft gezielt darauf ausrichten, um sicherzustellen, dass sie richtig verstanden wird.
Zudem hilft es Dir als Führungskraft auch dabei, die Beziehung zu Deinen Team-Mitgliedern zu stärken. Wenn Du weißt, dass bei Deinem Gesprächspartner gerade das Lieblingsohr aktiv ist, fühlt er bzw. sie sich möglicherweise auch besser verstanden und akzeptiert.
Als Zuhörer solltest Du Dich vor allem darauf konzentrieren, Deinem Gegenüber bewusst zuzuhören und nicht bereits nach der Hälfte der Botschaft im Kopf eine geeignete Antwort darauf zu formulieren.
Auch wenn es zu Beginn noch etwas ungewohnt für Dich wirkt und diese Vorgehensweise Pausen im Gespräch entstehen lässt, solltest Du das Gesagte ein wenig sacken lassen und genau darüber nachdenken, was Dir der Sender damit mitteilen wollte.
Die vier Ebenen der Kommunikation helfen dir dabei ein wenig bei der Einordnung. Sei Dir bei der Interpretation der Nachricht stets bewusst, dass Deine eigenen Erfahrungen, Überzeugungen und Einstellungen dabei eine wesentliche Rolle spielen. Wie Du eine Aussage interpretierst, ist dabei auch entscheidend für den weiteren Verlauf des Gesprächs.
Deshalb solltest Du Dir angewöhnen, im Zweifelsfall nachzufragen, was der Sender mit seiner Botschaft gemeint hat und was er damit erreichen möchte. Eine einfache Möglichkeit dazu bietet Dir beispielsweise die Technik des Paraphrasierens.
Durch Paraphrasieren die Intention einer Botschaft klären
Beim Paraphrasieren handelte es sich um eine populäre Gesprächstechnik im Rahmen des aktiven Zuhörens.
Dabei wird der sinngemäße Inhalt des eben Gehörten in eigenen Worten zusammengefasst und wiederholt. Der Sinn dabei ist, zu überprüfen, ob das, was jemand inhaltlich ausdrücken möchte, in der Form auch tatsächlich beim Empfänger angekommen ist. In einer abgewandelten Form des Paraphrasierens kannst Du beim Sender auch gleich nachfragen, ob eine Botschaft auf eine bestimmte Art und Weise gemeint war.
Dazu ebenfalls ein einfaches Beispiel:
Bei Eurem gestrigen Team-Meeting hat sich Ben auffällig still verhalten. Als Du ihn heute am Morgen in der Küche triffst, sagt er zu Dir: „Bei unseren Meetings reden immer nur die gleichen Leute, alle anderen verhalten sich still!“
Als Führungskraft interpretierst Du die Botschaft so, dass sich Ben ungerecht behandelt fühlt, weil seiner Meinung keine Beachtung geschenkt wird. Du vermutest dahinter einen entsprechenden Appell. Um sicherzugehen, dass das tatsächlich der Fall ist, kannst Du nun Bens Botschaft bei der Paraphrasierung bereits in eine bestimmte Richtung lenken: „Willst Du mir mitteilen, dass es Dir lieber wäre, wenn ich Dich im Meeting direkt anspreche und aktiv um Deine Meinung bitte?“
Nun hat Ben die Möglichkeit, entweder Deiner Interpretation zuzustimmen oder Dir seine Intention hinter der Botschaft noch einmal zu erklären.
Lass Dich nicht durch das 4-Seiten-Modell verrückt machen
Es gibt eine Vielzahl von Botschaften in unserem Alltag, bei denen glasklar ist, was damit ausgedrückt werden soll.
Selbstverständlich lassen sich auch einfache Sätze wie „Bitte bring mir doch die Butter aus dem Kühlschrank mit!“ mit dem Kommunikationsquadrat analysieren. Doch das ist nicht zielführend. Deshalb solltest Du nun auch nicht damit beginnen, jede einzelne Aussage Deiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu hinterfragen.
Wichtig ist, das 4-Ohren-Modell als Führungskraft genau dann anzuwenden, wenn das Gespräch Anlass zur Befürchtung gibt, dass es in eine komplett falsche Richtung laufen könnte. Denn genau dadurch lassen sich sowohl im beruflichen als auch im privaten Kontext Verkettungen von Fehlinterpretationen und Missverständnissen gezielt vermeiden.
Fazit
Das 4-Seiten-Modell basiert auf der Annahme, dass jede Aussage vier Ebenen hat, die von jedem Empfänger unterschiedlich interpretiert werden können.
Der erste und wichtigste Schritt ist schon damit getan, dass Du das 4-Ohren-Modell kennst und Du Dir dieses Wissen somit ab sofort auch in wichtigen Gesprächs-Situationen als Führungskraft bewusst machen kannst.
Du solltest es jedoch nicht nur dazu verwenden, um empfangene Botschaften richtig zu interpretieren, sondern Dir gleichzeitig auch als Sender angewöhnen, für entsprechende Klarheit Deiner Inhalte zu sorgen. Dazu kann es in Einzelfällen auch gehören, der Botschaft eine kurze Erklärung folgen zu lassen, wie diese genau gemeint war.
Mach Dir jedoch klar, dass noch kein Meister vom Himmel gefallen ist. Um das Kommunikationsquadrat richtig anzuwenden, ist ein wenig Übung erforderlich. Nach ein paar Gesprächen solltest Du aber schon ein gutes Gespür dafür entwickelt haben, wann eine genaue Interpretation und eine Rückversicherung angebracht sind.
Richtig angewendet hilft Dir das 4-Ohren-Modell dabei, eine bessere Gesprächsbeziehung zwischen Sender und Empfänger aufzubauen und Missverständnisse bei Deiner Kommunikation im Team weitestgehend zu vermeiden oder schnell aufzuklären.